Vilém Flusser, ‘Für eine Phenomenologie des Fernsehens’
‘Politisch zielt die Botschaft auf eine Entpolitisierung des Empfängers. Strukturell ist das politische Leben ein rhythmischen Vorstoßen aus dem privaten Raum in den öffentlichen. Die res publica setz eine res privata voraus, das forum einen domus; denn der öffentlichen Raum ist ein leerer Raum zwischen privaten Räumen und von den privaten Räumen aus zu füllen. “Politisieren” heißt publizieren. Das Fernsehen dreht dieses Verhältnis um: es ist ein Vorstoß des Öffentlichen ins Private. Es publiziert nicht das Private, sondern privatisiert das Publike.’ p. 187
‘Das hat eine doppelte Folge: Es führt einerseits zur Vereinsamung, zur Entpolitisierung des Empfängers und andererseits zur allgemeinen Invasion des Privaten, zum Totalitarismus. Auch dies ist ein Motiv aller Fernsehbotschaft.’ p. 187
‘Die drei Werkzeugen [Fenster, Türen, Wände] mussen synchronisiert werden, sollen sie sinnvoll funktionieren. Zum Beispiel so: Ausblick aus dem Fenster (Orientierung), gefolgt von Vorstoß aus der Tür (oreintiertes Engagement), gefolgt von der Rückkehr in die Wände (Einkehr). Dies ist der Rhythmus des menschlichen Lebens, und ohne Wände, Fenster, und Türen kann der Mensch nicht sinnvoll leben. Sie sind lebenswichtige Instrumente.’ p. 188/189
‘Dem dialogischen Netzsystem entspricht die Stimmung der Verantwortung (Möglichkeit zur Antwort) und der Tätigkeit (Ausarbeitung von Informationen). Dem diskursiven Rundfunksystem entspricht die Stimmung des Autorität und de Konservatismus (Speicherung einer Anerkannten Information) und des Konsums (Verschlucken und Verdauen von Informationen).’ p. 194/195
Die okzidentale Kommunikation bedient sich traditionell zweier Codetypen: dem zweidimensionalen imaginativen und dem eindimensionalen konzeptuellen. Zweidimensionalen Codes übermitteln Bilder (Gestalten) der Phänomene. Eindimensionale tasten die Phänomene ab und verwandeln sie in Prozesse.’ p. 197
Sollte der Durchbruch zu einem offenen Fernsehnetz gelingen, an dem ebensoviele partner teilnehemen würden wie am gegenwärtigen Fernsehrundfunk oder am gegenwärtigen Post- und Telefonnetz, dann würde sich die Struktur des Gesellschaft grundsätzlich geändert haben. Alen fenstern stünden dann allen offen, um mit allenzu sprechen, und zwar über eine neue Art wahrgenommene Wirklichkeit zu sprechen. Dies käme einer allgemeinen Politisierung gleich, denn die Gesellschaft wäre dann um eine kosmische agora versammelt, und jeder könnte publizieren. (…) Herscht heute Mangel an Dialog, dann würde dort mangel an Diskurs bestehen. Mit der allgemeinen Politisierung bestünde die Tendenz den privaten Raum zu entleeren.’ p. 199
Vilém Flusser, ‘Für eine Phenomenologie des Fernsehens’ in Schriften, Band I, Lob der Oberflächlichkeit, für eine Phänomenologie der Medien, Bollmann, Mannheim, 1995.
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